Die Altmark: Das Saudi-Arabien des Lithiums
Stendal. In der Altmark werden riesige Lithium-Vorräte vermutet. Schon sprechen die Einheimischen spöttelnd vom künftigen „Saudi-Arabien des Lithiums“. In der Gegenwart aber versucht die Region, auf der Landkarte der Investoren zu erscheinen. Eine neue Werbekampagne soll dabei helfen.
Von Matthias Salm
Der weiße Fleck wurmt die Altmärker immer wieder. Auf vielen Landkarten Sachsen-Anhalts taucht er auf. Etwa bei einer Übersicht der Welterbestätten im Land, von denen keine nördlich der Verkehrsachse A2 liegt. Oder bei einer Übersicht der 13 Zukunftsorte Sachsen-Anhalts, bei der lediglich der Industrie- und Gewerbepark Altmark als bunter Tupfer in der ansonsten weißen Fläche erscheint. Oder auf einer Übersicht des Autobahnnetzes in Deutschland: „Der größte zusammenhängende autobahnfreie Raum Deutschlands“ so nennt die IHK Magdeburg die Region, in der weiter eine Lücke im Verlauf der A14 klafft. Dabei liegt die Altmark eigentlich ziemlich zentral im Dreieck Berlin, Hannover und Hamburg. Doch gerade den Metropolenbewohnern ist sie erst in Bewusstsein gerückt, seit die Generalsanierung der Bahnstrecke Berlin-Hamburg Fernreisende zu einem Umweg über Stendal und Salzwedel zwingt.
Vielleicht aber ändert sich das alles bald schlagartig. Der Rohstoffförderer Neptune Energy Deutschland GmbH vermutet riesige Lithium-Ressourcen in der westlichen Altmark. Könnten die tatsächlich wirtschaftlich nutzbar gemacht werden, avanciert die Altmark über Nacht zum Motor der E-Mobilität und der Energiewende in Deutschland. 43 Millionen Tonnen Lithiumkarbonatäquivalent will das Unternehmen aus Hannover identifiziert haben. Die potentielle deutschlandweite Bruttowertschöpfung bei bis zu 25.000 Tonnen jährlicher Lithiumförderung im Zeitraum 2025 bis 2042 läge laut eines Gutachtens bei insgesamt bei 6,4 Milliarden Euro. Bis zu 1.500 neue Arbeitsplätze seien bundesweit möglich.
„Für die Altmark, aber auch darüber hinaus, wird es deutlich spürbare, positive wirtschaftliche Effekte geben,“ verspricht Dr. Andreas Scheck, CEO von Neptune Energy. Die Bruttowertschöpfung in der Altmark stiege im betrachteten Zeitraum jährlich um durchschnittlich zwei Prozent, prophezeit das Unternehmen. Mit der direkten Lithiumextraktion aus Tiefenwasser ohne Tagebau, ohne Verdunstungsbecken und mit minimalem Flächenbedarf will das Unternehmen zudem den Kritikern der Lithium-Förderung den Wind aus den Segeln nehmen. Es sei bis jetzt nicht nachgewiesen, „dass dieses Lithiumvorkommen auch wirtschaftlich abbaubar ist“, bremst allerdings Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze mögliche allzu optimistische Blütenträume.
Bodenständig statt euphorisch
Den Altmärkern spricht der CDU-Spitzenkandidat damit wohl aus dem Herzen. Der Menschenschlag hier ist bodenständig und verfällt nicht leicht in überschwängliche Euphorie. Stattdessen rückt das Machbare in den Blick. Und da geht es den Verantwortlichen in den beiden Landkreisen Stendal und Salzwedel zuallerst darum, die frei verfügbaren Flächen in der Region zu vermarkten.
„Wir haben Flächen in einer Größenordnung, die sie sonst in der Republik kaum finden und wir haben auch grüne Energie für jedes zukunftsorientierte Unternehmen“, sagt Patrick Puhlmann. Der 42jährige Sozialdemokrat steht dem Landkreis Stendal seit 2020 als Landrat vor. „Die Altmark ist viel mehr als nur Landwirtschaft. Das müssen wir jetzt auch an den Mann bringen“, so Puhlmann. Von Rechenzentren über die Elektronik-Branche bis zu Unternehmen der Gesundheitsbranche und Digital-Dienstleistern – Landrat Puhlmann kann sich eine ganze Palette von Investoren vorstellen.
Die größte Phantasie entzündet sich an einem möglichen Gewerbegebiet auf dem Buchholzer Berg an der A14 südlich von Stendal. Eine Fläche mit Vorgeschichte: In den 90er Jahren hielt man hier den Bau des Hauptstadtflughafens für realistisch. Der kam bekanntlich nach Schönefeld und die Freifläche zwischen Stendal und Tangermünde fiel in einen Dornröschenschlaf zurück. „Solche Potenziale findet man in Deutschland nicht noch mal. Hier hätte Tesla drei Mal reingepasst“, sagt Puhlmann mit Blick auf Ostdeutschlands spektakulärste Industrieansiedlung in Brandenburg.
Doch in Sachen Investoren hat Sachsen-Anhalt gerade erst einen gewaltigen Dämpfer mit der Absage der geplanten Intel-Chipfabrik in Magdeburg zu verdauen. Ein Projekt, auf das man in der Altmark zwiegespalten reagiert hat. Es hätte den Fokus noch weiter von der Altmark weggenommen, sagt Landrat Puhlmann. Andererseits habe Sachsen-Anhalt gezeigt, was in kürzester Zeit möglich gewesen wäre. „Vielleicht hat das schon ausgereicht, um das Land auf die Landkarte internationaler Investoren zu bringen“, hofft der SPD-Landrat mit Blick auf die Ambitionen in der eigenen Region.
Bis dahin bleibt die Wirtschaftsstruktur in der Altmark erst einmal kleinteilig und damit auch ein Stück weit krisenresilient. Lediglich der Industriepark Altmark bei Arneburg sticht heraus. Dort, wo einst das größte Kernkraftwerk der DDR geplant war, aber nie gebaut wurde, errichtete 2004 die Mercer Stendal GmbH eine der modernsten Fabriken für NBSK-Zellstoff in Europa. Sie verarbeitet dort jährlich rund 3,5 Millionen Festmeter Nadelholz zu Zellstoff, Bioenergie und verschiedene Biochemikalien. Rund um den industriellen Schwerpunkt der ländlich geprägten Altmark haben sich beispielsweise eine Tochtergesellschaft des italienischen Papierkonzerns Sofidel oder die Arneburger Maschinen- und Stahlbau GmbH niedergelassen. Im Altmarkkreis Salzwedel im Westen der Region wiederum pendeln viele Menschen ins benachbarte Niedersachsen. Die Autostadt Wolfsburg grenzt praktisch an den Altmarkkreis und ist mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen. Das nährt den Wohlstand und die lokalen Zulieferer.
Gemeinsam als Hanseregion Altmark
„Die Altmärker haben einen hohen Lokalstolz. Viele Unternehmen tragen den Zusatz „Altmark“ im Firmennamen“, weiß Carla Reckling-Kurz, Geschäftsführerin des Altmärkischen Regionalmarketing- und Tourismusverbands (ART). Der ART will mit einer Standortkampagne im nächsten Jahr möglichen Investoren die Region schmackhaft machen. „Wir müssen unseren Vorteil, dass wir zwischen drei Metropolen liegen, nutzen“, betont Reckling-Kurz. „Wir haben verfügbare Flächen, grüne Energie, Immobilien mit einer guten Kostenstruktur und wir sind eine historisch gewachsene Region“, fasst sie die Vorzüge der Altmark zusammen.
Auch die Historie soll mehr ins Bewusstsein gerückt werden. Schließlich bezeichnet sich die Altmark gern als Wiege der Mark Brandenburg. „Stolze Städte und weites Land“, lautet der Slogan der Touristiker. Acht historische Hansestädte liegen in der Altmark, das will man künftig für die Außendarstellung nutzen. „Wir sind aber noch zu wenig sichtbar“, räumte Carla Reckling-Kurz jüngst bei der Präsentation der neuen Marketing-Kampagne auf dem Flugplatz Stendal-Borstel ein. Das soll sich ändern: Künftig will man gemeinsam als „Hanseregion Altmark“ auftreten.
Landrat Patrick Puhlmann sieht die Altmark unterdessen auf dem richtigen Weg. Doch ob nun die Marketing-Kampagne oder ein möglicher Lithium-Abbau den Landstrich im Norden Sachsen-Anhalts nach vorn bringen. „Die politischen Effekte im nächsten Jahr sind vermutlich die entscheidenderen Standortfaktoren“, blickt Puhlmann nicht ohne Sorge auf die kommende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.
Tourismus in der Altmark:
Wer abseits des Massentourismus Ruhe sucht, findet in der Altmark Ziele wie das Grüne Band im ehemaligen Grenzgebiet, das Biosphärenreservat Drömling, das Landschaftsschutzgebiet Arendsee, dem mit über fünf Quadratkilometern Wasserfläche größten natürlichen See in Sachsen-Anhalt, das Biosphärenreservat Mittelelbe mit dem populären Elbe-Radweg und den Elb-Havel-Winkel. Touren zu den acht historischen Hansestädten in der Altmark sind beliebte Angebote für Kurzreisende.
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